Zukunft Ennstal – ARGE Intermodale Verkehrsplanung

Verein NETT • Nein Ennstal Transit Trasse
Anerkannte Umweltorganisation gem. § 19 Abs. 7 UVP-G 2000

Wir planen ganzheitlich

Besuche uns auf Facebook

Besuchen Sie uns auf Facebook:

Falls Sie diesen Button anklicken, werden aber auch persönliche Daten an Facebook übertragen. Sind Sie damit einverstanden?

Zur Navigation springen.

George Monbiot

Nahrung für Autos,
nicht für Menschen

Ein Umstieg auf biogene Treibstoffe wäre ein humanitäres und ökologisches Desaster

Wären die Menschen ohne Sünde, sie würden dennoch in einer unvollkommenen Welt leben. Adam Smith meinte zwar, dass jemand, der seinen eigenen Vorteil im Auge hat, oft den Interessen der Gesellschaft dienlicher ist, als wenn er sie direkt fördern will; und Karl Marx zeichnete das Bild einer Gesellschaft, in der die freie Entwicklung des Einzelnen die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist. Aber beiden Vorstellungen widerspricht eine ganz offensichtliche Einschränkung: Die Welt hat Grenzen. Daraus folgt, dass eine Gruppe von Menschen, die ihren eigenen Interessen nachgeht, dabei den Interessen anderer oft schadet.

Dafür gibt es wohl kaum ein besseres Beispiel als den momentanen Enthusiasmus für „Biokraftstoffe“. Diese werden aus Zuckerrohr, Pflanzenölen, Ernteabfällen oder Holz hergestellt und können Autos, Busse und Lkw antreiben, wobei ihre Verbrennung nur so viel CO2 in die Atmosphäre entlässt, wie die Pflanzen vorher für ihr Wachstum entnommen haben. Aus diesem Grund wird der Wechsel von fossilen Treibstoffen zu Biodiesel und Ethanol derzeit als Mittel gegen den Klimawandel propagiert.

Die Europäische Union schreibt einen Biodiesel-Anteil am Treibstoffverbrauch von 2% vor, der bis 2010 auf 6% und bis 2020 auf 20 % steigen soll. Um diese Ziele zu erreichen, vermindern die Regierungen die Steuern auf Biodiesel, und die EU subventioniert den Anbau von Energiepflanzen mit zusätzlichen 45 Euro pro Hektar.

Das scheint zur Zufriedenheit aller zu sein: Die Landwirte und die Chemieindustrie erhalten einen neuen Markt, die Regierungen können ihren Verpflichtungen zur CO2-Reduktion nachkommen und die Umweltschützer können sich freuen, dass Pflanzentreibstoffe sowohl die lokale Umweltverschmutzung als auch den Klimawandel vermindern. Im Gegensatz zur Wasserstofftechnologie können die Biokraftstoffe jetzt sofort eingesetzt werden. Rudolf Diesel hat eigentlich genau diese Nutzung seiner Erfindung erwartet. Als er seinen Motor im Jahre 1900 bei der Weltausstellung vorführte, trieb er ihn mit Erdnussöl an. „Die Nutzung von Pflanzenölen als Maschinentreibstoffe mag heute unbedeutend erscheinen, aber im Lauf der Zeit werden diese Öle dieselbe Bedeutung erlangen wie Erdöl“, lautete seine Voraussage. Einige Biokraftstoff-Enthusiasten erwarten bei einem weiteren Anstieg der Erdölpreise, dass sich seine Prophezeiung bald erfüllen wird.

Nun, hoffentlich nicht. Die Fürsprecher dieser Treibstoffe haben zwar gute Absichten, aber sie irren sich. Sie irren sich, weil die Welt Grenzen hat. Wenn die Biotreibstoffe durchstarten, wird ein globales humanitäres und ökologisches Desaster die Folge sein.

Werden sie so wie heute in sehr kleinem Umfang eingesetzt, stellen sie kein Problem dar. Ein paar tausend britische Grüne treiben ihre Autos mit aufbereitetem Frittierfett an, aber aus gebrauchten Küchenölen können in Großbritannien nur 100.000 Tonnen Diesel pro Jahr gewonnen werden, das entspricht etwa 0,25% des Treibstoffverbrauchs im Straßenverkehr.

Man könnte auch daran denken, Ernterückstände wie z. B. Getreidestroh zu Ethanol zu verarbeiten, um damit Autos anzutreiben – der Observer hat darüber eine Reportage gebracht. Ich würde gerne entsprechende Berechnungen sehen, aber es fällt mir schwer zu glauben, dass wir dadurch mehr Energie gewinnen könnten als wir für den Transport und die Verarbeitung des Strohs aufwenden müssten. Doch die Pläne der EU und aller Biotreibstoff-Enthusiasten beruhen auf etwas anderem: auf dem Anbau von Kulturen eigens für die Energiegewinnung. Und wenn wir näher betrachten, welche Folgen das haben wird, stellen wir fest, dass die Medizin ebenso schlimm ist wie die Krankheit. Der Straßentransport im Vereinigten Königreich verbraucht 37,6 Millionen Tonnen Erdölprodukte pro Jahr. Von den Ölsaaten, die hierzulande angebaut werden können, ist Raps die produktivste: Der Durchschnittsertrag liegt bei 3 bis 3,5 Tonnen pro Hektar, wobei aus einer Tonne Rapssamen 415 kg Biodiesel gewonnen werden. Jeder Hektar Ackerland kann somit ca. 1,45 Tonnen Treibstoff liefern.

Unsere Autos, Busse und Lkw mit Biodiesel anzutreiben, würde somit 25,9 Mio. Hektar Land beanspruchen. Allerdings verfügen wir im Vereinigten Königreich nur über 5,7 Mio. ha Ackerland. Anders gesagt: Der völlige Umstieg auf grüne Treibstoffe würde das Viereinhalbfache unseres Ackerlandes in Anspruch nehmen. Selbst für das moderatere 20%-Ziel der EU müsste beinahe unser gesamtes Ackerland aufgewendet werden.

Falls sich eine solche Entwicklung in ganz Europa vollziehen sollte, wären die Auswirkungen auf die weltweite Nahrungsmittelversorgung katastrophal – groß genug, um die globale Balance von einem Netto-Überschuss in ein Netto-Defizit zu kippen. Und wenn sie, wie manche Umweltschützer fordern, weltweit stattfände, dann würde der Großteil der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche dieses Planeten darauf verwendet werden, Nahrung nicht für Menschen, sondern für Autos zu produzieren.

Eine solche Aussicht erscheint auf den ersten Blick lächerlich. Wenn es einen unbefriedigten Bedarf an Lebensmitteln gibt, dann würde der Markt doch sicherlich garantieren, dass die Äcker dazu verwendet werden, Menschen zu ernähren und nicht Autos zu füttern? Doch es gibt nichts, was diese Annahme stützen würde. Der Markt reagiert auf Geld, nicht auf Not. Autobesitzer verfügen über mehr Geld als Hungernde. Einen Wettbewerb zwischen der Nachfrage der Reichen nach Treibstoff und dem Bedarf der Armen nach Nahrung werden die Autobesitzer jederzeit gewinnen. Etwas sehr Ähnliches geschieht bereits. Obwohl 800 Millionen Menschen unter ständiger Mangelernährung leiden, werden die Erträge aus der gesteigerten Agrarproduktion an Tiere verfüttert: Seit 1950 haben sich die weltweiten Viehbestände verfünffacht. Das liegt daran, dass die Konsumenten von Fleisch und Milchprodukten eine höhere Kaufkraft haben als jene Menschen, die Agrarprodukte für ihre eigene Ernährung benötigen.

Grüne Treibstoffe sind nicht nur ein humanitäres Desaster – sie bringen auch eine Umweltkatastrophe. Wer die Ausmaße und die Intensität der heutigen Landwirtschaft sorgenvoll betrachtet, der sollte sich überlegen, wie die Agrikultur wohl aussieht, wenn sie von der Ölindustrie geleitet wird. Und noch etwas: Wenn wir versuchen, in Europa einen Markt für Raps-Biodiesel aufzubauen, dann wird sich dieser augenblicklich in einen Markt für Palmöl und Sojaöl verwandeln. Mit Ölpalmen lässt sich pro Hektar viermal mehr Biodiesel herstellen als mit Raps, und ihr Anbau geschieht dort, wo Arbeit billig ist. Die Anlage von Ölpalmenplantagen gehört weltweit schon heute zu den Hauptursachen für die Zerstörung tropischer Wälder. Soja liefert zwar einen geringeren Ölertrag als Raps, aber Sojaöl ist ein Nebenprodukt der Erzeugung von Viehfutter. Ein neuer Markt dafür wird einer Industrie neuen Antrieb geben, die in Brasilien bereits den Großteil des Cerrado (eines der Gebiete mit der weltweit höchsten Biodiversität) und Teile des Regenwaldes zerstört hat.

Es ist schockierend, zu erleben, wie beschränkt die Perspektive mancher Umweltschützer sein kann. Bei einer Konferenz in Paris über sprunghaften Klimawandel kam eine Gruppe von Wissenschaftlern und Grünen zu dem Schluss, dass die beiden großen Ideen von Tony Blair – dem Klimawandel entgegenzutreten und Afrika zu helfen – gemeinsam umgesetzt werden können, indem Afrika in eine Produktionszone für Biotreibstoffe umgewandelt wird. Diese Strategie biete „einen nachhaltigen Entwicklungspfad für die zahlreichen afrikanischen Staaten, die Biotreibstoffe billig produzieren können“. Ich weiß zwar, dass sich die Definition von nachhaltiger Entwicklung ständig ändert, aber ich war mir nicht bewusst, dass sie nun auch Hungersnöte und die Auslöschung der Tropenwälder einschließt. Das Committee on Environment, Food and Rural Affairs des britischen Parlaments, das eigentlich eine Gesamtschau der Dinge vornehmen sollte, untersuchte jede mögliche Konsequenz der Produktion von Biotreibstoffen – vom bäuerlichen Einkommen bis zum Bestand an Feldlerchen – ausgenommen die Auswirkungen auf die Nahrungsmittelversorgung.

Wir brauchen eine Lösung für den anthropogenen Treibhauseffekt, den die Autoabgase mitverursachen, aber dies ist keine. Wäre die Produktion von Biotreibstoffen groß genug, um den Klimawandel zu beeinflussen, dann wäre sie auch groß genug, um globale Hungersnöte zu verursachen.

Erstveröffentlichung im „Guardian Weekly“ am 23. 11. 2004. Deutsche Erstveröffentlichung in „Natur und Kultur“ 7/1 (2006), Gesellschaft für ökologisch-nachhaltige Entwicklung, www.umweltethik.at

George Monbiot gilt in England als der profilierteste, nonkonformistischste politische Kommentator; er unterrichtet als Gastprofessor für Politik, Philosophie und Umweltwissenschaft an verschiedenen englischen Universitäten. Buchveröffentlichung auf Deutsch: „United People. Manifest für eine neue Weltordnung“, Riemann Verlag, 2003.